No Poo: Haarpflege ohne Shampoo

Die spinnen, die Amis. Kein Shampoo beim Haarewaschen mehr verwenden!? No Poo kurz für „No Shampoo“ nennt sich ein aktueller Beauty-Trend aus den USA, der auch in Europa zunehmend Anhänger findet. Der Verzicht auf Shampoo bedeutet aber nicht, sich nicht mehr die Haare zu waschen. Lediglich der Einsatz von chemischen Mitteln ist verpönt – stattdessen werden die Haare mit Wasser und natürlichen Zusätzen gereinigt und gepflegt.

Der Name No Poo ist noch recht frisch. Doch die Idee, die dahintersteckt, ist aber nicht neu, sondern sogar sehr alt. Genau gesagt handelt es sich bei diesem Beauty-Trend um eine Rückkehr zu den ursprünglichen Haarpflegegewohnheiten der Menschheit. Doch funktioniert die ursprüngliche Haarwäsche und -pflege überhaupt noch im Zeitalter der Umweltverschmutzung? Und wie lässt sich die No Poo-Philosophie im Alltag praktisch umsetzen?

Der schmale Grat zwischen natürlich und unhygienisch

Viele finden die Vorstellung, zur Haarwäsche kein Shampoo mehr zu verwenden, schlicht ekelhaft oder zumindest einigermassen unhygienisch. Denn die überwiegend chemischen Reinigungsmittel aus der Drogerie oder dem Supermarkt sollen ja nicht nur Fett, Talg und Hautschüppchen entfernen, sondern das Haar auch von Staubpartikeln, Schadstoffen, Rückständen anderer Pflegeprodukte und Umweltgiften befreien.

Doch dazu, so erklären die No Poo-Anhänger, reiche Wasser schon aus – wenn es hin und wieder mit milden und natürlichen Reinigungssubstanzen angereichert wird. Das ist vor allem für Frauen, die sich täglich oder jeden zweiten Tag das Haar mit duftendem Schaum reinigen, schwer vorstellbar – doch ganz falsch ist es deswegen noch lange nicht.

Gesundes und glänzendes Haar benötigt keine schäumende Reinigung. Das beweisen zum Beispiel Millionen Frauen und Mädchen in Indien. Deren Haar gehört zum schönsten und glänzendsten auf der ganzen Welt und ist in den USA und Europa sehr begehrt: Haarhändler kaufen vor Ort das Haar von Frauen, die sich ihre Zöpfe abschneiden lassen, um durch dieses Opfer von den Göttern Glück im Leben und in der Liebe zu erbitten.

Häufig erlebt dieses prachtvolle Haar seine allererste Wäsche mit Shampoo erst nach dem Abschneiden – in Indien ist das Shampoonieren weit weniger verbreitet als hierzulande, das haar wird traditionell nur mit Öl gepflegt und hin und wieder mit Wasser gespült. Vom Staub der indischen Landstrassen, Dörfer und Städte befreit, nach Länge sortiert und zu neuen Zöpfen gebunden, beginnt es nach dem Schneiden oder Scheren seine Reise – meist in die westliche Welt, wo eine hohe Nachfrage nach hochwertigen Extensions oder teuren Echthaarperücken besteht.

Auch europäisches Haar und europäische Kopfhaut besitzt grundsätzlich die Fähigkeit, sich selbst zu reinigen. Der Umstieg von Shampoo auf No Poo setzt allerdings die Bereitschaft zu etlichen Bad Hair Days voraus. Denn Haar, das an das regelmässige Shampoonieren gewöhnt ist, kann nicht von einem Tag auf den anderen auf die erwünschte Selbstreinigung umschalten.

Zu Beginn und in der Übergangszeit ist bei diesem Experiment durchaus mit Geruchsentwicklung, fettigem Haar, schrägen Blicken, kritischen Fragen und dem entsprechenden Nervenstress zu rechnen. Hier ist also Durchhaltewillen gefragt – um nicht völlig ungepflegt zu wirken, helfen in der Regel nur noch das Zusammenbinden der Haare oder das Verstecken der ramponierten Frisur unter einer Mütze oder einem Hut.



Die No Poo-Langzeitwirkungen

Dem Haar wieder beizubringen, wie es sich selbst reinigt und pflegt – das ist eine interessante und auch verlockende Vorstellung. Andererseits waschen die meisten Menschen ihr Haar nicht nur deswegen regelmässig mit Shampoo, weil es verdächtig riecht, schmutzig oder fettig ist, sondern weil sie sie Kopf- und Haarreinigung als angenehme Routine, Belohnung oder Schönheitsluxus empfinden. An einem trüben Tag oder bei schlechter Laune kann die Haarwäsche einen regelrechten Kick für die Stimmung, den Schwung und die Tagesform darstellen. Die Vorstellung, darauf einfach zu verzichten, kann den gesamten Tagesablauf durcheinanderbringen und durchaus schon im Vorfeld eine gewisse Nervosität auslösen.

Doch tatsächlich freut sich das Haar über die Pause von der Chemie. Shampoo enthält unter anderem Tenside und Silikone, die nachweislich in die natürliche Balance von Kopfhaut und Haaren eingreifen. Das daran gewöhnte Haar kommt ohne die vertraute Reinigung und Pflege nicht mehr aus – und reagiert auf deren Wegfall erst einmal mit Protest. Um die unerwünschten Effekte zu reduzieren, ist es empfehlenswert, langsam einzusteigen oder sich langfristig für einen Mittelweg zu entscheiden – No Poo ist ja weder ein Glaubensbekenntnis noch eine Lebensphilosophie, sondern lediglich eine Sammlung von Alternativen zur gewohnten Haarwäsche.

Konkret: No Poo in Aktion

Waschen ja, Shampoo nein. Empfohlen für die Haarwäsche nach der Umstellung wird Natron, das es in jeder Drogerie zu kaufen gibt. Es soll neben dem überschüssigen Fett auch Rückstände früherer chemischer Reinigungen entfernen.1-2 Teelöffel davon werden mit Wasser zu einer Paste angerührt oder ganz in Wasser aufgelöst. Beim kräftigen Einmassieren in Kopfhaut und Haaransatz sollte sich die Mischung ein wenig seifig anfühlen, damit sie richtig reinigen kann. Je dicker und länger das Haar, desto mehr Natron ist nötig.

Zum ersten Ausspülen dient lauwarmes Wasser, dem pro Liter etwa eine halbe Tasse Essig (Weisswein- oder Apfelessig) zugesetzt werden. Danach mit klarem Wasser nachspülen – je kälter, desto besser für den Glanz. Wer will, kann zum Spülen auch einen Kräutersud verwenden, etwa mit Rosmarin: Einfach 2-3 Zweige Rosmarin in einem Liter Wasser aufkochen, abkühlen lassen und die Haare damit spülen. Es kann bis zu einem Vierteljahr dauern, bis sich das Haar an diese Reinigung gewöhnt hat. Wer konsequent durchhält, soll sich danach über dauerhaft gesundes, starkes und glänzendes Haar freuen können, das nie mehr herkömmliches Shampoo benötigt.

Nach der Natron-und-Essig-Phase kann die Haarreinigung auch mit sogenannter Alepposeife erfolgen, die nach ihrem ursprünglichen Herstellungsort in Syrien benannt ist. Sie besteht ausschliesslich aus reinem Oliven- und Lorbeeröl und vereint deren positive Wirkungen in einem reinigenden, rückfettenden, antiseptischen und angenehm duftenden Naturprodukt.


No Poo in Aktion: Empfohlen für die Haarwäsche wird Natron. (Bild: Brooke Becker / Shutterstock.com)

„Hundert Bürstenstrich’“ – Grossmutters Trick wird wichtiger denn je

Unverzichtbar für die No Poo-Methode ist das regelmässige Bürsten – bei langem Haar gern tatsächlich mit hundert Strichen pro Tag, wie es viele Frauen als Mädchen noch von ihren Grossmüttern empfohlen bekommen haben. Nur so kann das Sebum, der von der Kopfhaut gebildete Talg, auch in die Längen und Spitzen der Haare gelangen und dort für natürlichen Glanz sorgen. Ideal ist eine Bürste mit Naturborsten (z. B. Wildschweinborsten). Borsten aus Metall oder Plastik können bei so ambitioniertem Bürsten das Haar schädigen und sind daher bei No Poo nicht zu empfehlen.

Fazit: No Poo ist ein spannendes Experiment für alle, die nach Alternativen bei der Haarwäsche oder Bändigung ihrer Mähne suchen – oder ihrem Haar eine Auszeit von der chemischen Industrie gönnen möchten. Wem die Reinform nicht zusagt, der kann sie nach Belieben abwandeln – beispielsweise mit Trockenshampoo oder Naturshampoo aus der Apotheke. Und wer mit No Poo anfängt, kann auch jederzeit wieder damit aufhören.

 

Oberstes Bild: No Poo ist Haarpflege ohne Chemie. (© Alliance / Shuftterstock.com)

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Mehr zu Christine Praetorius

Christine Praetorius, Jahrgang 1971, spricht und schreibt über Neues, Altes, Schönes und Kurioses. Ich liebe Sprache und Musik als die grössten von Menschen für Menschen gemachten Freuden – und bleibe gerne länger wach, um ihnen noch etwas hinzuzufügen. Seit 2012 arbeite ich mit meinem Mann Christian als freie Texterin, Autorin und Lektorin.

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